Wenn Verleger eine Reise tun

erstellt von: HOMO Littera | Kategorie(n): Kurioses und Humorvolles

Wenn Verleger eine Reise tun

Verlegerin Romy Leyendecker erzählt von ihrer letzten Reise nach Deutschland. Die Heimfahrt verlief über die Schweiz nach Österreich.

 

Es gibt Tage in meinem Leben, da denke ich: Es kann nicht mehr schlimmer kommen.
Und was passiert?
Es kommt schlimmer!

Letztens in Deutschland:
Nichts ahnend buche ich online ein Busticket nach Zürich – der Bus fährt weiter bis nach Italien. Von Zürich nehme ich dann das Flugzeug Richtung Heimat. Es war kalt, und es regnete leicht. Nachdem ich halb erfroren war, bat ich Busfahrer 1, mein Busticket für eine frühere Fahrt umzubuchen. Es war schließlich kalt und Frau will sich nicht den Hintern abfrieren … Der nette Busfahrer 1 bucht mich tatsächlich um, Busfahrer 2 bringt meinen Koffer zum Laderaum.
Mein Tag war gerettet, alles war perfekt: Der Bus war beheizt, es gab ein WC an Board – sehr wichtig, weil Frauenblasen ganz bestimmt um ein Vielfaches kleiner als Männerblasen sind – und es gab WLAN. Also: Ab zum Sitzplatz und Notebook ausgepackt … die Fahrt beginnt!

Kurz vor der Grenze zur Schweiz:
Busfahrer 1: „Liebe Reisende, bitte nehmen Sie Ihre Reisepässe zur Hand. Es könnte passieren, dass wir an der Grenze kontrolliert werden. Damit wir schnell weiterfahren können, bitte ich Sie, alles bereitzulegen.“
ALLE Passagiere folgen der Anweisung.

Wir nähern uns der Grenze, halten an und werden tatsächlich kontrolliert. Ich amüsiere mich über das sympathische Schild am Zollgebäude: Kränzliacker.
Ich beginne zu lachen, liebe die Schweiz dafür umso mehr und überlege, ein Foto davon zu machen. Drei freundliche Zollbeamte steigen in diesem Moment in den Bus: „Griatzi mitanand!“
Ich vergesse das Foto, rücke stattdessen meinen Pass raus.
Die Pässe werden kontrolliert, die Zollbeamten steigen wieder aus. Doch wir fahren NICHT weiter. Stattdessen warten wir.
5 Minuten.
10 Minuten.
Unter den Busfahrern herrscht Tumult.

Ich zu meinem Sitznachbarn: „Hatte der Busfahrer keinen Reisepass mit?“
Mein Sitznachbar: „Irgendwas scheint nicht zu stimmen …“

Wir warten weiter … es zieht sich. Langsam wird es auch kühler im Bus, weil ständig die Türen geöffnet werden. Die ersten Gäste wollen aussteigen, um schnell mal am „Kränzliacker“ eine zu rauchen.
Ich denke mir: Kommt, lasst uns fahren, ich habe mir heute schon mal den Hintern abgefroren. Doch wir warten.

Nach einiger Zeit kommt ein Zollbeamter mit den Papieren des Busses zurück. Die Nummernschilder scheinen nicht richtig zu sein. Busfahrer 1 wechselt mit Busfahrer 2 den Platz und versteht die Welt nicht mehr. Er kann ja nichts dafür, da muss ein Kollege was falsch gemacht haben.
Ich schalte mein Notebook aus, weil das WLAN nicht mehr funktioniert. Der Akku wird auch langsam knapp, die Steckdosen im Bus spenden keinen Saft mehr.
Die Hälfte der Passagiere raucht mittlerweile vor dem „Kränzliacker“-Gebäude. Ich überlege schon wieder, ein Foto zu machen, entscheide mich aber dagegen. Ich möchte nicht die Schuld tragen, wenn wir deshalb nicht weiterfahren dürfen.
Die andere Hälfte der Reisenden begibt sich Richtung Fast-Food-Restaurant auf der deutschen Seite. In die Schweiz dürfen wir ja nicht.
Ich habe auch Hunger, aber womöglich kommt Busfahrer 1 aus dem „Kränzliacker“-Büro zurück.
Busfahrer 2 geht die Sache übrigens nichts mehr an. Er sitzt vor dem Lenkrad und öffnet bereitwillig die Türen nach draußen.

Es wird kälter. Die ersten Reisenden müssen aufs Klo. Busfahrer 2 ist so nett, die Kabine wieder zu öffnen, obwohl wir das an der Grenze nicht dürfen. Eine nette Menschentraube bildet sich vor dem WC im Bus und verstopft den Gang.
Busfahrer 2 wird es mittlerweile auch zu dumm, die Türen wieder zu schließen. Es wird noch kälter im Bus. Ich ziehe meinen Mantel an.
Stumm denke ich mir, dass gerade der andere Bus, den ich nicht nehmen wollte, weil es ja kalt war, in Deutschland wegfährt.

Busfahrer 1 kommt zurück und telefoniert mit seinem Vorgesetzten. Er soll Strafgeld bezahlen. Die Papiere stimmen irgendwie nicht mit dem Bus überein. Das schweizer Zollamt stellt neue aus. Das kann aber dauern …
Busfahrer 2 tut so, als wäre er gar nicht anwesend. Er schraubt am Radio herum.

Läuft eigentlich die Heizung? Ich weiß es nicht, bin aber am Überlegen, in den Bus umzusteigen, den ich nicht genommen habe, der aber bald hier eintreffen sollte. Ich fluche leise, weil mir am Busterminal so kalt war. Hätte ich doch gewartet …
Ich ziehe den Kragen meines Mantels höher. Das Fast-Food-Restaurant schreit immer lauter nach mir.

Doch da!
Busfahrer 1 hat die Strafe bezahlt. Die Dokumente sind bald fertig …
Busfahrer 2 verlässt nun den Bus. Die Lichter gehen aus, die Türen stehen offen. Busfahrer 1 setzt sich hinter das Steuer, startet … doch: Rien ne va plus! Nichts geht mehr!
Die Autobatterie ist leer.
Ich sehe meinen Sitznachbarn an und sage: „Nee, oder?“
Er grinst und meint: „Doch, sieht so aus!“

Busfahrer 1 ist am Verzweifeln. Ich glaube, er bereut zur Arbeit erschienen zu sein.
Die ersten Passagiere rufen sich ein Taxi. Die Rechnung wird vermutlich an das Busunternehmen gehen.
Ich sehe auf die Uhr und denke mir: So, jetzt kommt sicher gleich der andere Bus!
Für den Fall, das ich mich wiederhole: Es handelt sich um den Bus, den ich nicht nehmen wollte, weil es mir zu kalt war!
Meinen Kragenmantel mittlerweile bis zu den Ohren hochgezogen, gehe ich zu Busfahrer 1: „Wann kommt der andere Bus vorbei?“
Busfahrer 1: „Der fährt eine andere Route. Der kommt hier nicht vorbei …“
Toll!
Ich stapfe zurück auf meinen Platz und friere weiter. Außerdem drückt jetzt meine Blase. Doch am Klo im Bus gibt es kein Licht mehr … die Batterie!
Ich zähle langsam die Minuten, in der Hoffnung, dass bald etwas passiert. In Zürich sollte ich eigentlich in ein Flugzeug steigen …
Ich sehe mich schon im „Kränzliacker“ das Nachtlager aufschlagen.

Busfahrer 1 verzweifelt nun, weil ihm Reisende abhanden kommen. Die Taxis kommen und fahren im Minutentakt.
Ich denke mir: Schlimmer kann es nicht mehr kommen, doch ich irre mich.
Ein LKW soll uns Starthilfe geben. Der LKW ist auch da, doch Busfahrer 1 muss sich im „Kränzliacker“-Büro um die Dokumente kümmern. Busfahrer 2 ist nicht zuständig.
Ich frage mich, ob nicht jemand den Bus starten sollte, wenn schon ein LKW Starthilfe gibt …

Nachdem das hier nichts wird, beschließe ich, ein WC zu suchen … Meine viel zu kleine Frauenblase ist kurz vorm Platzen. Ich bereue den Liter Orangensaft während der Busfahrt zur Grenze.
Ein netter Zollbeamter nimmt mich aber mit ins „Kränzliacker“-Büro. Im Keller schließt er Türen auf, stellt sich wie ein Bodyguard davor und meint in Schweizerdeutsch: „Bide!“
Ich bedanke mich und lasse mir Zeit … Frauen brauchen ja immer etwas länger am WC. Sie müssen ja gucken, ob die Haare sitzen und das Make-up nachgebessert gehört.
Der „Kränzliacker“-Beamte wartet …
Nach einer Ewigkeit schleiche ich mich an ihm vorbei und meine schuldbewusst: „Entschuldigung, wusste nicht, dass Sie warten …“
Der Zollbeamte auf Schweizerdeutsch: „Kein Problem!“
Stumm füge ich ein „li“ an das Wort Problem und kehre zum Bus zurück. Der LKW ist verschwunden, der Bus steht noch immer. Busfahrer 1 ärgert sich, dass er nicht hier war, als der LKW Starthilfe gab …
Ich frage Busfahrer 1, wie es weitergeht, weil Flug, Österreich … *heimwill*
Er weiß es nicht.

2 Stunden später warten wir noch immer. In Zürich hat man sicher schon mehrmals meinen Namen ausgerufen, damit ich endlich an Board gehe.
Busfahrer 1 weiß nicht, dass mittlerweile zusätzliche Passagiere verschwunden sind.
Am nächtlichen Himmel sehe ich die Lichter eines Flugzeuges. In Zürich ist man wohl ohne mich gestartet.

Busfahrer 1 ruft den ADAC. Angeblich kommt er in 20 Minuten.
Busfahrer 2 geht es noch immer nichts an.
Ich bereue mittlerweile nicht essen gegangen zu sein – nach Deutschland versteht sich. In die Schweiz dürfen wir ja nicht … angeblich. Deshalb überlege ich, ebenfalls ein Taxi zu nehmen. Die Rechnung bekommt das Busunternehmen … Doch: oh, Wunder! Der ADAC ist da! Der Bus wird gestartet. Wir fahren, weil wir mittlerweile auch die Papiere haben.
Busfahrer 1 fährt nun selbst weiter. Traut er Busfahrer 2 nicht mehr?

Basel-Schild-wenn_verleger_auf_reisen_gehen_10.12.2015

Nach 10 Minuten sind wir in Basel. Ich will nur noch aus dem Bus. Vielleicht gibt es von Basel aus eine Möglichkeit noch ein Flugticket nach Österreich zu bekommen.

Busfahrer 1 bedankt sich für die Mitreise, wünscht uns eine gute Weiterfahrt und hofft, uns bald wieder begrüßen zu dürfen!
Ich nicke stumm.

Die Fahrt mit dem Taxi zum Flughafen dauert rund 25 Minuten. Ich frage mich, ob der Taxilenker mehrmals im Kreis fährt – so groß ist doch die Schweiz nicht. 55 Euro ärmer komme ich endlich am Flughafen in Basel an. Am Infoschalter erklärt man mir, es gäbe einen Flug nach Wien.

Ich: „Ich müsste aber nach Graz.“
Angestellte in Schweizerdeutsch: „Moment … jo, aber da ist schon boarding!“
Ich: „Nehm ich!“
Angestellte: „Gut … Wie möchten Sie bezahlen?“
Ich: „Mit Karte …“

Wie hätte es auch anders sein können: Das Kartengerät funktioniert nicht.
Ich sehe auf die Uhr und denke: Supi! Gleich wirst du auch in Basel ausgerufen!
Nach einem Neustart und einem Wechsel der Batterien funktioniert endlich das Kartenlesegerät. Rund 800 Euro ärmer geht es nun ab zum Check-in – Frau hat ja auch noch einen Koffer, den sie vor der Sicherheitskontrolle loswerden sollte.
Die Schlange ist lang, ich stelle mich einfach am Business-Schalter an.
Die Dame dort meint: „Sie kommen spät!“
Ich nicke, werfe meinen Koffer aufs Band und grapsche nach meinem Board-Ticket.
Ab zur Sicherheitskontrolle, bevor die merken, dass ich kein Geschäftsmann-Ticket habe …

Eine Menschentraube steht vor den Sicherheitsschranken. Ich überlege, wie ich am schnellsten alles durchs Röntgengerät schicke, ohne unnötig aufgehalten zu werden.
Endlich bin ich dran. Der Sicherheitsmann mustert mich: Ich habe bereits Jacke und Co. abgelegt, Notebook ausgepackt, Schmuck und Co. in eine Kiste geworfen und durchs Röntgengerät geschickt. Ach ja, die Stiefel habe ich auch gleich ausgezogen … sicher ist sicher!
Beamter: „Deutsch? English? Français?“
Ich: „Egal.“
Er mustert mich: „Wo sind Ihre Sachen?“
Ich: „Schon durch.“
Er: „So schnell?“
Ich: „Ja, mein Flug …“
Ich zeige auf die nicht mehr vorhandene Uhr an meinem Handgelenk.
Er mustert mich wieder: „Gehen Sie mal durch …“
Stumm bete ich, nicht zu läuten.

Natürlich läute ich.
Eine Beamtin kommt mit einem Handscanner. Ich zähle die Minuten, breche in Schweiß aus. Die Beamtin lässt sich Zeit … Vorne am Band staut es sich. Meine 4 Kisten mit Notebook, Mantel, Stiefel und Co. blockieren die Weiterarbeit. Die Beamten lehnen sich in ihren Sitzen zurück und warten.
Ich schwöre mir stumm, das nächste Mal keine Jeans mit Metallnieten zu tragen – außerdem auch keinen BH mit Bügeln. Das Piercing wird auch abgelegt …

Endlich darf ich durch. Ich stopfe meine Sachen in die Notebook-Tasche, schlüpfe in die Stiefel und grapsche nach dem Rest. Mein Gate scheint in Deutschland zu liegen, zumindest dauert es ewig, bis ich dort ankomme.
Panisch laufe ich zum Schalter. Mein Flugzeug ist noch da, man wollte mich sicherlich gerade ausrufen, doch die schweizerische Angestellte meint: „Nur keine Eile! Wir haben Zeit!“

Erleichtert steige ich ins Flugzeug Richtung München, dort muss ich umsteigen …
Ich warte.
Wir warten.
Das Flugzeug rollt … auf einen neuen Abstellplatz.
Der Kapitän meint ruhig ins Mikro: „Aufgrund leichten Schneefalles warten wir noch auf die Freigabe. Vermutlich kann das bis zu 25 Minuten dauern.“
Shit! Ich muss in München umsteigen! Ob die auf mich warten? Schon höre ich meinen Namen in München durch den Lautsprecher hallen …

20 Minuten später.
Wir rollen Richtung Startbahn, müssen jedoch noch vorab rundum erneuert werden. Ein Bodentrupp sprüht unsere Maschine von vorne bis hinten ein – enteisen. Kann man da oben eigentlich erfrieren?
Ich klotze fasziniert aus dem Fenster und stopfe den Inhalt einer Minipackung Chips in mich rein, die der Steward verteilt hat.

Graz-Schild-wenn_verleger_auf_reisen_gehen_10.12.2015

Eine gute Stunde später laufe ich in München durch den Flughafen. Mein Flug geht in 10 Minuten Richtung Graz. Ich werde mit einem Extra-Shuttle zu meinem Flugzeug gebracht. Wer schon einmal am Münchner Flughafen war, weiß, wie lange man mit so einem Shuttlebus fahren kann. Ich zähle die Minuten und beruhige mich selbst. Die würden mich nicht durch das Gelände kutschieren, wenn sie nicht warten würden …
Stumm frage ich mich, ob es mein Koffer auch schafft. Schließlich sollte er ebenfalls umsteigen.
Als ich ankomme, steige ich in ein voll besetztes Flugzeug. Die Passagiere sehen mich an, als wollten sie mich alle lynchen. Ich verkrieche mich auf meinen Platz.
Die Crew schließt die Türen.
Wir warten …
Ich greife schon wieder nach einer Minipackung Chips – dieses Mal mit Paprika – und stopfe den Inhalt in mich.
Die Stewardess sagt durchs Mikro: „Wir warten noch kurz auf Gepäck, das verladen werden muss.“
Die Hoffnung, dass mein Koffer ebenfalls den Flug schafft, steigt. Ich lehne mich gegen die Fensterscheibe und starre auf das kleine Wägelchen, das in unsere Richtung fährt. Darauf liegt EIN Koffer – in violett mit dunkelvioletten Blümchen.
Ich sinke tiefer in meinen Sitz.
Mein Sitznachbar gafft mich an, schaut an mir vorbei aus dem Fenster und meint: „Nicht wirklich, oder?“
Ich tu so, als würde ich ihn nicht verstehen … Spätesten in der Luft, als ich Tomatensaft verlange, weiß er Bescheid.

Als wir endlich in Graz landen – 45 Minuten zu spät – kommt der Taxifahrer, der mich immer abholt, auf mich zu und nimmt mir meinen violetten Koffer mit Blümchen darauf ab.
„Sie kommen spät!“, meint er gut gelaunt.
Ich: „Sagen Sie nichts! Fragen Sie auch besser nichts!“
Er: „Ja, was soll´s. Hier hat´s geschneit.“
Ich laufe aus dem Flughafen und sehe nur Regenfall. Kein Schnee.
Stumm steige ich in das Taxi und warte darauf, dass es unter mir zusammenbricht …