Interview mit Stephan Klemann zu seinem Buch „Endstation Wirklichkeit“

erstellt von: HOMO Littera | Kategorie(n): Interviews

„Stephan Klemann“ hat uns zu seinem aktuellen Buch „Endstation Wirklichkeit“ ein Interview gegeben

Hallo Stephan. Dein soeben erschienener Roman „Endstation Wirklichkeit“ handelt von einem jungen Mann, der in einem kleinen Dorf aufwächst, aber davon träumt, Schauspieler zu werden. Nach der Trennung seines Freundes zieht er sein Ding durch und geht nach L.A., um sich seine Träume zu erfüllen. Was hat dich dazu inspiriert, den Roman zu schreiben?

Stephan: Die Idee, diesen Roman zu schreiben, kam mir, nachdem ich den Film „Prayers for Bobby“ gesehen habe. Der Film ging mir unter die Haut, weil er unter anderem eindringlich die Situation von Schwulen außerhalb – meist liberalerer – Städte zeigt. Ich wollte eine eigene Geschichte erzählen, die auf der einen Seite die Probleme von schwulen Jugendlichen auf dem Land verdeutlicht, auf der anderen Seite aber auch Mut macht, diese und andere Probleme zu lösen.

Im Buch geht es um Ruhm, Liebe, Eifersucht und die Höhen und Tiefen des Lebens. Was hat dich dazu bewogen, ein Drama zu Papier zu bringen?

Stephan: Ich habe ein Drama gewählt, weil das wirkliche Leben für Schwule noch viel zu oft ein Drama ist. Gerade die Themen „Coming-out“ und „Seitensprung“ sind nach meiner Erfahrung häufig ein Problem für Schwule und führen immer wieder zu Spannungen. An so etwas wie „die perfekte Liebesgeschichte“ glaube ich nicht. Träume von perfekter Liebe haben alle, die braucht man nicht mehr niederzuschreiben. Immer wieder erleben Schwule den inneren Kampf zwischen Outing und Verstecken oder Treue und Abenteuer. Ein Drama erschien mir das richtige und einzige Genre, diese Themen zu transportieren.

Könntest du dir vorstellen, in Zukunft in ein anderes Genre zu wechseln, oder bleibst du deinem bisherigen treu?

Stephan: Ich bin nicht ausschließlich auf Dramen festgelegt. Vor kurzem habe ich ein Manuskript für einen Thriller fertiggestellt. Es hängt immer von der Idee zu einer Geschichte ab. Die entscheidet darüber, in welchem Genre der Roman endet. Dennoch hängt mein Herz und meine Inspiration eindeutig am Drama. Damit kann ich am besten die Botschaften vermitteln, die mir wichtig sind. Ich bin mir sicher, es werden weitere Dramen folgen.

Wie sehen deine Recherchen aus, bevor du ein Buch schreibst?

Stephan: „Endstation Wirklichkeit“ ist eine rein fiktive Geschichte. Hier habe ich das Internet als Quelle für Fakten zu ein paar realen Orten, in denen die Geschichte spielt, verwendet. Einige Beschreibungen zu Begebenheiten in Los Angeles habe ich den Erinnerungen eines eigenen Besuchs dort entnommen.
Zurzeit arbeite ich an einem Manuskript mit deutlich mehr Bezug zur Realität. Sie wird die Geschichte von schwulen Jugendlichen im Iran zum Thema haben. Für diesen Roman habe ich gut zwei Monate lang im Internet die notwendigen kulturellen, rechtlichen, politischen und religiösen Hintergründe sowie örtliche Gegebenheiten recherchiert. Ausserdem habe ich mich mit einigen Iranern unterhalten und mir das Leben und die Situation von Schwulen dort beschreiben lassen.

„Endstation Wirklichkeit“ ist dein erster Roman. Als Schriftsteller Fuß zu fassen, ist nicht immer leicht. Was kannst du anderen Autoren mit auf den Weg geben?

Stephan: Als Erstes: Tut es einfach! Bringt zu Papier, was in eurer Fantasie entsteht. Ich schreibe seit vielen Jahren Geschichten, einfach weil mir das Schreiben Spaß macht. Es war nie mein Ziel, diese Geschichten zu veröffentlichen, bis mich Freunde irgendwann ermutigt haben, es mal zu versuchen.
Für eine „geplante“ Veröffentlichung ist es wichtig, nicht einfach undurchdacht zu beginnen. Ein Roman muss sich entwickeln. Von der Idee des Themas, den notwendigen Recherchen, der Strukturierung in Blöcke, der Gliederung in Kapitel bis hin zur Erzählweise sollte man sich Schritt für Schritt vorarbeiten. Ideen, die einem in den Sinn kommen, sofort aufschreiben, damit man sie nicht wieder vergisst. Auch ist es wichtig, sich die Hauptcharaktere schriftlich zu „definieren“, um nicht den Fehler zu begehen, zum Beispiel den Hauptdarsteller am Anfang als „Blondschopf“ zu bezeichnen und nach 6 Monaten Schreibarbeit am Ende „seine schwarzen Haare im Wind wehen zu lassen“. Empfehlenswert ist entsprechende Fachliteratur für angehende Autoren.

Endstion Wirklichkeit

Dein Protagonist David ist in deinem Roman Schauspieler und schwul. Wie auch in deinem Buch, wird Sängern oder Filmstars oft vom Management geraten, sich nicht zu outen, sondern es lieber zu vertuschen. Im wirklichen Leben geht das oft so weit, dass viele Promis eine Ehe eingehen, um den Schein zu wahren. Wie findest du diese Einstellung? Denkst du, dass das nötig ist, um zum Beispiel eine Karriere als Hollywood-Star starten zu können? Glaubst du, ein schwuler Schauspieler oder Sänger würde seine Fans aufgrund seiner Sexualität verlieren?

Stephan: Das ist eine schwierige Entscheidung. Wäre die Welt perfekt, und die sexuelle Orientierung eines Künstlers wäre in der Öffentlichkeit völlig unwichtig, sollte keiner Geheimnisse haben oder gar ein Lügengebilde aufbauen müssen.
Aber die Welt ist leider noch nicht perfekt, und rein wirtschaftlich verkauft sich ein Hetero-Star in der Regel wohl besser als ein homosexueller. Das ist zumindest der Glaube vieler Verantwortlicher. Ich denke nicht, dass ein vermeintlich heterosexueller Star Fans verliert, wenn er sich als homosexuell outet. Aber ich kann mir vorstellen, dass ein von vornherein als schwul oder lesbisch auftretender Künstler am Anfang seiner Karriere nicht die gleiche Akzeptanz findet wie ein heterosexueller. Traurig, aber wahr.

Du hattest nach eigenen Aussagen dein Coming-out erst mit zweiunddreißig Jahren, bist jetzt jedoch glücklich mit deinem Mann verheiratet. Glaubst du, dass schwule Jugendliche es heute leichter haben, die Gesellschaft offener bzw. toleranter geworden ist?

Stephan: Definitiv ja! Je weiter die gesellschaftliche Akzeptanz voranschreitet, desto weniger müssen sich Homosexuelle verstellen oder gar verstecken. Vor etwa 30 Jahren durfte ein deutscher Schlagersänger nicht mal ein Lied mit schwuler Thematik im Fernsehen präsentieren, geschweige denn, dass es möglich war, dass Homosexuelle Händchen haltend auf der Straße laufen oder sich gar in der Öffentlichkeit küssen konnten. Dass wir das heute können, sind die Früchte jener Saat, die unsere Vorgängergenerationen gesät haben. Davon profitieren die Jugendlichen von heute, und sie sollten das zu schätzen wissen. Die oft so abwertend bezeichneten „alten Säcke“ habe ihnen die Freiheiten erkämpft, die sie heute nutzen können.
Und auch das Internet und die verschiedensten Beratungsstellen machen es heute für junge Homosexuelle viel einfacher, sich über alle Aspekte der Homosexualität zu informieren oder um Kontakte zu knüpfen.

Nach wie vor sind in einigen Magazinen oder Zeitungen Berichte über schwule Themen im Allgemeinen unerwünscht. Was sagst du dazu?

Stephan: Unverständlich und unangemessen! Das ist praktizierte Diskriminierung und zudem eine Bevormundung der Leser. Presse hat neutral über alle relevanten gesellschaftlichen Themen zu berichten. Und dazu zählen heutzutage eben auch Ereignisse mit homosexuellem Bezug.
Im Grunde regt mich das aber nicht wirklich sonderlich auf. Solche Blätter haben den Wandel der Zeit verpasst und werden irgendwann für diesen Weg in diese informatorische Sackgasse die Quittung erhalten. Und besser, sie verschweigen diese Themen, als sie verzerrt und flach darzustellen. Bis dahin ist „Ignorieren“ und liberalere Zeitungen kaufen die sinnvollste Lösung.

In deiner Danksagung im Buch sprichst du Eltern Mut zu, ihre homosexuellen Kinder zu unterstützen. Du schreibst, dass es nach wie vor immer wieder vorkommt, dass sich Jugendliche in den Selbstmord stürzen, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sehen – wie jüngst ein Beispiel eines gemobbten Jugendlichen in den USA zeigt. Viel zu oft hört man mittlerweile immer wieder, dass das alles nur ein Klischee sei. Homosexuelle seien längst nicht mehr von der Gesellschaft ausgestoßen. Was denkst du darüber? Alles nur Klischee oder doch nur ein weiterer Versuch, die Welt schön zu reden?

Stephan: Wie so oft liegt hier die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen. Natürlich werden solche traurigen Vorkomnisse in der heutigen medialen Welt auch gerne vielleicht vorschnell mit homophoben Gründen in Verbindug gebracht. Und natürlich ist die Situation auch wesentlich besser als noch vor 10 oder 20 Jahren.
Auf der anderen Seite gibt es aber solche Fälle auch heute noch, und ob es nur einer pro Jahr oder 100 oder 1000 sind, ist völlig egal. Jedes einzelne Schicksal ist ein unnötiges Schicksal. Solange das Wort „schwul“ von Teenagern immer noch als abwertende Titulierung für banale Dinge des Alltags verwendet wird, solange wird es Mobbing geben, gerade unter Jugendlichen. Hier versagt meines Erachtens das Bildungssystem in vielen Ländern, auch in Deutschland, ganz erheblich. Homosexualität wird an den Schulen bestenfalls erwähnt, aber es wird nicht ausreichend diskutiert. Welche Eltern oder welcher Lehrplan erklärt den Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Aufklärung die Werte einer Liebe zwischen Menschen des gleichen Geschlechts oder sagt ihnen, dass es völlig in Ordnung sei, wenn jemand schwul oder lesbisch ist. Wenn das Outing „passiert“ ist, kann man ja immer noch Akzeptanz zeigen. Aber keiner ahnt, was für ein Leidensweg ein Jugendlicher möglicherweise bis dahin hinter sich hat.

Wir bedanken uns recht herzlich für das Interview und wünschen dir weiterhin viel Glück und Erfolg!

„Endstation Wirklichkeit“ ist seit Juni im Buchhandel und in den meisten Online-Shops erhältlich.