Interview mit Alexej Winter zum Buch „Sekundensache“

erstellt von: HOMO Littera | Kategorie(n): Interviews

Schriftsteller „Alexej Winter“ hat uns zu „Sekundensache“ ein Interview gegeben

Hallo Alexej. Soeben ist dein erster Roman „Sekundensache“ erschienen. Die Protagonisten Bela und Luca verlieben sich ineinander. Alles könnte so einfach sein, wären da nicht Vorurteile und fehlende Akzeptanz in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis. Wie ist die Idee zu diesem Buch entstanden?

Alexej: Hallo! Die Idee zu Sekundensache entstand 2008 während der Europameisterschaft. Ich hatte damals erstmals größeres Interesse an diesem Sport und war mir aber nicht sicher, welchem Team ich die Daumen halten sollte. Einerseits wollte ich, dass das deutsche Team das Turnier gewinnt, andererseits gefiel mir die spanische Mannschaft besser. Es war ein ewiges Hin und Her, bei dem ich quasi zwischen die Fronten geraten bin. Plötzlich war ein Konflikt vorhanden und ich mochte die Vorstellung, dass nicht nur ein Zuschauer zwischen die Fronten gerät, sondern jemand, der aktiv am Geschehen beteiligt ist. Der Grundstein für „Sekundensache“ war demnach schnell gelegt. Der erste Entwurf landete aber bald auf meiner Festplatte und musste einige Jahre warten, bis mich der Ehrgeiz packte, erneut mit Bela und Luca zu arbeiten. Erst Anfang 2012 kramte ich die Textdatei wieder hervor und beschloss, die damalige Grundidee komplett umzuschreiben und daraus einen Jugendroman zu machen. Inspiriert wurde ich viel durch die Menschen in meiner Umgebung. Ich sehe fast täglich, wie es zu bösen Missverständnissen kommt, bloß weil man nicht offen miteinander spricht. Diese Tatsache birgt viel Potenzial für einen Roman und eröffnet einem unzählige Möglichkeiten. Zwischenmenschliche Beziehungen sind wahnsinnig kompliziert, wie man in „Sekundensache“ unschwer erkennen kann. Ein belangloser Satz kann stundenlange Diskussionen ins Rollen bringen, weil man vielleicht nur mit einem Ohr hinhört oder bloß das versteht, was man verstehen will. Bei all diesen Kommunikationsdefiziten geriet das Thema Fußball in den Hintergrund und wurde auch in „Sekundensache“ das, was es im realen Leben ist: die schönste Nebensache der Welt.

„Sekundensache“ stieg von 0 auf Platz 3 der schwulen Bücher der Amazon-Bestseller-Liste ein. Dein Gay-Romance-Roman erhielt auch ziemlich schnell positive Resonanz. Warum hast du dich ausgerechnet für dieses Genre entschieden? Liest du selbst Gay-Romance-Bücher?

Alexej: Ich lese tatsächlich gerne Romane aus dem Gay-Genre. Egal ob Gay-Romance, schwules Drama oder schwuler Vampirroman. In diesem Bereich gibt es viele tolle Autoren und ich bin von einigen ein kleiner oder auch größerer Fan. Dass „Sekundensache“ bei den Lesern so gut ankommt, ehrt mich natürlich. Wenn es die Zeit zulässt, versuche ich verschiedene Seiten im Internet zu verfolgen und lese mir die Meinungen der Leser gerne durch. Viele kontaktieren mich auch persönlich, schildern mir ihre Eindrücke und Meinungen. So viel Feedback zu bekommen ist zwar etwas ungewohnt, aber ich freue mich darüber. „Sekundensache“ soll dem Leser eine schöne Zeit verschaffen und gut unterhalten. Wenn sich dann jemand meldet und mir das bestätigt, ist das super. Dabei sind mir Leser, die konstruktive Kritik äußern, genauso willkommen. Ich befinde mich mit der Schriftstellerei noch ganz am Anfang und da „Sekundensache“ nicht meine letzte Veröffentlichung sein wird, möchte ich mich bestmöglich verbessern.

„Sekundensache“ ist ein relativ umfangreiches Buch. Wie bist du beim Schreiben vorgegangen? Wie planst du deine Geschichten? Wie sieht dein Schreibprozess aus?

Alexej: Beim Schreiben versuche ich, strukturiert vorzugehen. Ich lege Ordner an, in denen ich zunächst das Material aus meinen Recherchen sammle. Diese beinhalten neben Informationen in Textform oft auch Bilder und vor allem Musik. Musik ist mein stetiger Begleiter, während ich schreibe. Auf meinem Rechner befindet sich, je nach Schreibprojekt, mindestens eine Playlist, die ich persönlich zusammengestellt habe. Bei „Sekundensache“ habe ich zum Beispiel viel El Canto Del Loco gehört.
Für die Planung nehme ich mir mittlerweile wirklich viel Zeit. Ich war lange auf der Suche nach der „perfekten Methode“ zum Schreiben. Im Internet verraten viele Autoren und Journalisten persönliche Tipps und Tricks, wie sie ihre Texte aufbauen. Dazu gibt es umfassendes Material in Buchform. Allerdings hat jeder seinen ganz eigenen Stil entwickelt und so habe auch ich mir aus all den Ratgebern meine persönliche Methode zusammengebastelt. Spannend fand ich die Drei-Akte-Struktur, mit der ich lange gearbeitet habe. Um ein erstes, grobes Gerüst zu bauen, ist sie, meines Erachtens nach, wie geschaffen. Nachdem mit dieser Methode der Storyverlauf in Stichpunkten notiert ist, lege ich Charakterblätter an. Diese sind, je nach Charaktertyp, bis zu acht Seiten lang. Bei Sekundensache kam folgender Punkt dazu: Der Roman spielt über einen Zeitraum von exakt vierzehn Tagen, wobei ich für fast jeden Tag ein Kapitel eingeplant hatte. (Ausgenommen die Tage, an denen sehr viel passierte. Da wurden es dann zwei.) Das erleichterte mir die Planung für die Handlung des Romans und ich konnte, ein bisschen wie Gott, frei wählen, an welchem Tag ich was geschehen lasse.

Die Nebenfigur Lilly nimmt in deinem Roman eine wichtige Rolle ein. Sie ist zwar Lucas Freundin, dennoch kommt es zwischen den beiden immer wieder zum Streit. Luca verheimlicht ihr seine Sexualität ziemlich lange. Warum hast du ihn so entscheiden lassen? Was war der Hintergedanke dabei?

Alexej: Niemand sollte alles von einem wissen. Geheimnisse machen einen Menschen spannend und aufregend. Wenn ich mir vorstelle, jemandem alles über mich zu erzählen, dann empfinde ich das als beängstigend, vor allem aber macht das verletzlich und angreifbar. Dass Luca sich seiner besten Freundin nicht anvertraute, geschah aus eben diesen Gründen. Da er noch relativ jung ist und sich sein Charakter erst entwickelt, kann er Lilly auch nicht einschätzen und geizt ordentlich mit den Infos über sein Privatleben. Die Beziehung zwischen Lilly und Luca habe ich in ähnlicher Form selbst erlebt. Ich hatte dabei Lillys Rolle eingenommen und reagierte gleich verärgert und zeitweise wütend, wenn mein Gegenüber mir wiederholt ganz offensichtlich Dinge verschwiegen und mich angelogen hatte. Zwischen Lilly und Luca einen Spagat in puncto gegenseitiges Verständnis zu schaffen, ist schwierig. Ich schätze, jeder von uns hat sich in der einen oder anderen Rolle selbst schon mal befunden und identifiziert sich entweder mit Luca, der aus guten Gründen lieber etwas verschweigt, oder mit Lilly, die aufgrund ihrer lang bestehenden Freundschaft auf Ehrlichkeit und Vertrauen pocht. Der Schlüssel zum Erfolg heißt hier wohl einfach Verständnis.

Denkst du, dass Jugendliche heute nach wie vor Probleme haben, sich zu outen? Nicht nur in der Schule, auch vor Freunden und der Familie? Mangelt es in Schulen diesbezüglich nach wie vor an Aufklärungsarbeit?

Alexej: Bedauerlicherweise denke ich tatsächlich, dass es für Jugendliche immer noch problematisch ist, sich zu outen. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich offenbar „schwul“ als Synonym für „blöd“, „dumm“ etc. eingebürgert. Das Wort allein ist schon negativ behaftet. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass es in Schulen nicht nur zum Thema Homosexualität an Aufklärungsarbeit mangelt. Wenn sich junge Menschen nicht mehr in die Schule trauen, weil sie von ihren Mitschülern gemobbt werden, egal aus welchen Gründen, dann besteht ein gewaltiges Defizit! Generell sollte mehr Sozialverhalten gelehrt werden. Dazu benötigt man allerdings keine Lehrer, sondern Pädagogen.

Sekundensache

Deine Protagonisten Bela und Luca spielen beide in einem Fußballverein. Aufgrund der teilweise fehlenden Akzeptanz ihrer Sexualität bei den Kollegen verstecken sie ihre wahre Identität. Homophobie gegenüber Fußballern ist auch im realen Leben aktuell. Hast du dich durch eine wahre Begebenheit inspirieren lassen? Denkst du, dass es homosexuelle Sportler im Allgemeinen schwieriger haben als heterosexuelle?

Alexej: Was diesen Punkt der Geschichte betrifft, so habe ich mich nicht von einer wahren Begebenheit inspirieren lassen. Das entsprang meiner Fantasie; ich vermute aber, dass das gar nicht so weit hergeholt ist. Ob es homosexuelle Sportler in ihrem Beruf schwieriger haben, weiß ich nicht. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sie bevorzugt das Opfer der Boulevardpresse sind. Wenn ständig über einen gesprochen wird, ist das sicher nicht angenehm. Und vorteilhaft für das Image wird das auch nicht sein. Wenn die Teamkollegen dann noch entsprechend eingestellt sind, erschwert das den Arbeitsalltag mit Sicherheit. Dies gilt aber nicht für jede Sportart. Ich habe vor einigen Jahren eine Freundin in einen Reitstall begleitet. Dort gab es unter den überwiegend weiblichen Pferdebesitzern einen jungen Mann, von dem alle wussten, dass er schwul ist. Und wie soll ich sagen? Alle mochten ihn gerne und er war voll in den Kreis der Einsteller integriert. Was homosexuelle Sportler angeht, so kommt es wohl darauf an, um welchen Sport es sich handelt und ob sie diesen aus beruflichen Gründen ausüben oder nur als Hobby.

Deutschland hat gerade die Fußball-WM gewonnen. Auf Facebook gibt es die Gruppe „Fußballfans gegen Homophobie“. Wie wichtig findest du es, dass Promifußballer sich gegen Homo- und Transphobie einsetzen?

Alexej: Prominente finden mit ihren Worten eher Gehör als „Normalos“. Da bekannte Sportler für viele Jugendliche Idole verkörpern, finde ich es wichtig, dass man Denkanstöße gibt und dafür sorgt, dass es zu einem menschlicheren Verhalten innerhalb der Gesellschaft kommt. Ich verwende hier bewusst nicht die Worte Toleranz und Akzeptanz, denn für mich ist es selbstverständlich, dass man Menschen so nimmt, wie sie sind. Das schließt nicht nur Homo- und Transsexualität ein. Wie viele Menschen werden da draußen diskriminiert oder gar gehasst, bloß weil sie ihr Leben auf eine Art leben, die ihnen gefällt? Sind unsere Persönlichkeitsrechte nur heiße Luft? Es ist traurig, dass man die Menschen da draußen dazu anhalten muss, andere mit Respekt zu behandeln.

Auch bei der vergangenen Winterolympiade in Russland besaßen einige Sportler Mut, obwohl sich Putin öffentlich gegen Homosexualität ausspricht. Wie mutig findest du das? Wenn du die Chance hättest, Herrn Putin gegenüberzutreten, was würdest du ihm sagen wollen?

Alexej: Da könnte ich sagen, was ich wollte, er würde mich nicht verstehen. Und wenn die Sprachbarriere überwunden wäre, würde ich nichts sagen. Zu Menschen mit einer solchen Einstellung könnte ich sagen, was ich wollte, es würde sich nichts ändern. Wer sein ganzes Leben lang homophob ist, wird nicht nach einer Diskussion mit mir denken: „Danke, dass du mir die Augen geöffnet hast!“ Das wäre pure Zeitverschwendung. Mein Standpunkt lautet: Es ist egal, ob Männer Männer lieben oder Frauen Frauen. In welcher Zeit leben wir, dass es immer noch Diskussionen um Akzeptanz und Toleranz gegenüber Homosexualität gibt, oder in der Hetzereien und Hasstiraden befürwortet werden? Sich dort für Homosexualität auszusprechen, wo es per Gesetz verboten ist, zeugt meines Erachtens nach nicht nur von Mut, sondern auch von Charakterstärke. Ich bewundere Menschen, die so offen zu sich stehen. Es ist nur bedauerlich, dass das so wenig bringt.

Oft hört man, dass es vor allem im ländlichen Bereich noch sehr viele Vorurteile gegenüber Homosexuellen gibt. Auch der Kreisligaverein, den du in deinem Roman erwähnst, spielt in einem kleinen Dorf. Du beschreibst eine neugierige Nachbarin, die Belas Haus penibel genau beobachtet. Ebenso fürchtet sich Belas Mutter, die in der Nachbargemeinde einen Frisörladen betreibt, dass die Kunden ausbleiben, sollten sie von ihrem schwulen Sohn erfahren. Ist das alles Klischee oder ist „Schwulsein“ am Land nach wie vor ein Tabu?

Alexej: Das kommt wohl daher, dass man sich in kleineren Gemeinden und Dörfern untereinander eher kennt als in der Stadt. Anonymität gibt es dort nicht. Was ich persönlich erlebt habe, ist, dass man, sobald das Thema Homosexualität aufkommt, wie ein Fremdkörper behandelt wird. Jeder glaubt, seinen Senf dazugeben zu müssen. Außerdem wird an allen Ecken getratscht und nach Belieben ein bisschen hinzugedichtet. Wo sich viele Menschen untereinander kennen, verbreiten sich Neuigkeiten jedweder Form fast wie ein Lauffeuer. Und wenn es nur darum geht, über jemanden zu reden, weil man gerne von sich selbst ablenkt. Meiner Meinung nach ist „Schwulsein“ auf dem Land weniger ein Tabu als eine negative Attraktion.

: Obwohl „Sekundensache“ dein erster Roman ist, hast du schnell viele Leser gewonnen. Darunter befinden sich auch Fans, die bereits auf eine weitere Veröffentlichung von dir warten. Planst du bereits neue Romane? Wenn ja, auf was dürfen sich deine Leser freuen? Kannst du diesbezüglich schon etwas verraten?

Alexej: Aktuell arbeite ich an zwei Projekten. Da ich mich im Gay-Romance-Bereich sehr wohlfühle, wird es zunächst auch noch einen weiteren Gay-Romance-Roman von mir geben. Ich möchte da im Grunde nichts verraten, aber da viele Leser bereits persönlich bei mir nachgefragt haben: Der nächste Roman spielt ein paar Monate nach „Sekundensache“ und für alle, die wissen wollen, was aus der jungen Liebe zwischen Bela und Luca geworden ist, hält er die ein oder andere Antwort parat.

Wir bedanken uns herzlichst für das Interview und wünschen dir alles erdenklich Gute sowie viel Erfolg weiterhin!

Alexej: Ich habe zu danken und hoffe weiterhin auf gute Zusammenarbeit.

„Sekundensache“ ist seit Juli 2014 im Buchhandel und in vielen Online-Shops erhältlich.